Halle: Kriegsende und Besetzung

Text + Bild: Martin Schramme | zuletzt aktualisiert am 07.10.2017

Teile der deutschen Truppen im mitteldeutschen Raum werden im April der neu gebildeten XII. Armee (Wenck) zugeordnet und marschieren auch von Halle Saale aus in Richtung Berlin. Ihr Auftrag: Die Amerikaner im Westen aufhalten und die eingekesselte Reichshauptstadt entsetzen.

Durch 50 Ortschaften müssen sich die Amerikaner entlang der Saale nach Halle vorarbeiten. Bei Friedeburg und Brachwitz richten sie Brücken ein, um mit der schweren Technik über die Saale setzen zu können und Halle Saale vom Norden her zu umfassen. Der Kampf um Halle wird am 15. April 1945, 8 Uhr, beginnen und am 19. April 1945, 10.55 Uhr, enden.

Vor der Ankunft der Amis haben die Deutschen alle Saale-Brücken gesprengt. Im Kampfgebiet Halle stehen 4000 Deutsche unter Waffen. Am 12. April scheitert Gauleiter Eggelin in Berlin mit dem Ansinnen, Halle kampflos zu übergeben. Am 13. und 14. April 1945 stellen die Amerikaner ihre Kräfte für den weiteren Vorstoß zusammen. Am 14. April rückt die 104. Infanteriedivision (Timberwölfe) in Kröllwitz ein. Sie werden teilweise mit schwerem Flakfeuer empfangen, denn in der Kaserne am Rand der Dölauer Heide ist das Flakregiment 33 der Deutschen Luftwaffe stationiert. Kampfkommandant Anton Radke lässt neun Brücken sprengen. Von Nord nach Süd müssen sich die "Timberwölfe" Haus für Haus in Richtung hallesches Stadtzentrum vorarbeiten. Radke will Halle nicht kampflos aufgeben. Auch Gauleiter Joachim Albrecht Eggelin und Oberbürgermeister Johannes Weidemann können ihn nicht umstimmen. Die Amis kommen bis zum Zoo, verlieren dabei aber unter anderem fünf Panzer.

amerikanisches Flugblatt vom 15. April 1945 in Halle an der Saale | Repro: Martin Schramme, Bestand: Stadtarchiv Halle Saale General Terry de la Mesa Allen will die verlustreichen Kämpfe nicht fortführen und fordert Unterstützung aus der Luft an. Starke Bomberverbände sollen den Widerstand in Halle brechen. Halle Saale mit seinen 210.000 Einwohnern ist zu dem Zeitpunkt die größte noch nicht zerstörte Stadt im Großdeutschen Reich. In der Stadt befinden sich 25.000 Verwundete und 35.000 Flüchtlinge. Die Amerikaner werfen am 15. April Flugblätter ab, in dem sie ein Ultimatum stellen. Wörtlich heißt es in ihrem Schreiben im A5-Format: "Ultimatum: Die amerikanischen Streitkräfte stehen vor Halle. Amerikanische Geschütze sind auf Halle gerichtet. Amerikanische Jabos und Schwerkampfflugzeuge stehen startbereit, um, falls notwendig, Halle dem Erdboden gleich zu machen. Die Stadt wird von uns genommen - so wie sie jetzt steht durch bedingungslose Uebergabe oder, nach rücksichtsloser Vernichtung, als ein Trümmerhaufen. Bedingungslose Uebergabe bedeutet die Uebergabe aller bewaffneten Einheiten, die Einstellungen aller feindlichen Handlungen und die Entfernung aller Minen und vorbereiteten Explosionskörper. Es ist nicht unsere Absicht, uns an der Zivilbevölkerung zu vergreifen oder unnötig Menschenleben zu opfern. Der Krieg steht bereits kurz vor dem Ende und die Entscheidung ist gefallen. Amerikanische Einheiten haben die Elbe überschritten, die Front ist zusammengebrochen. Ihr Widerstand kann daher weder der Stadt, der Bevölkerung, noch der allgemeinen militärischen Lage helfen. Es gibt keinen Mittelweg. Entweder Sie übergeben die Stadt mit ihrem jetzigen Bestand bedingungslos und vermeiden dadurch den sinnlosen Verlust an deutschem Leben und Eigentum, oder Sie weigern sich und sehen der völligen Vernichtung entgegen. Die Wahl und Verantwortung liegt bei Ihnen. Die Antwort ist von einem Bevollmächtigten des Kampfkommandanten zu überreichen. Er wird, unter dem Schutz einer weißen Fahne, die Brücke überschreiten und auf dem Westufer der Saale auf der Mansfelder Straße die amerikanischen Parlamentäre erwarten. Genlt. Terry de la M. Allen Kommandeur der 104. amerik. Division. Wer dieses Dokument findet, begebe sich unverzüglich zum Kampfkommandanten und überreiche es ihm!

Männer und Frauen von HALLE! Vollkommene Vernichtung droht Eurer Stadt. Entweder Halle wird bedingungslos übergeben oder vernichtet. Beim jetzigen Stand des Krieges ist Uebergabe das Gebot der Stunde. Wir Amerikaner sind nicht gesonnen gegen eine unschuldige Zivilbevölkerung Krieg zu führen. Schon leben Millionen Eurer Volksgenossen in den von uns besetzten Reichsgebieten in Frieden und helfen am Wiederaufbau Deutschlands mit. Falls der militärische Befehlshaber und die Parteiführer jedoch Blutvergießen nicht vermeiden wollen, so bleibt uns als einziger Ausweg nur die restlose Vernichtung von Halle. Männer und Frauen von Halle! Noch stehen Eure Häuser. Noch bleibt Euch die Zuflucht Eurer Wohnungen. Noch ist Eurer Stadt das Schicksal so vieler anderer deutscher Städte erspart geblieben. Noch könnt Ihr Euch und Eure Stadt retten, falls Ihr unverzüglich handelt. Werdet vorstellig bei den verantwortlichen Stellen, um dem sinnlosen Blutvergießen und der völligen Zerstörung zuvorzukommen. Dies ist die Stunde zur Tat. Die Zeit drängt. In wenigen Stunden wird es zu spät sein. Es gibt nur eine Wahl Uebergabe oder Vernichtung."

Ebenfalls am 15. April begeht Gauleiter Eggelin Selbstmord.

Um den Ernst der Lage zu unterstreichen (700 Bomber und 260 Jagdbomber stehen bereit), beschießen die Amerikaner Halle am Nachmittag des 16. April 1945 mit einem Artilleriegeschütz. Dabei treffen sie auch den Roten Turm, dessen Holzeinbauten einschließlich Turmhelm in Brand geraten. Obwohl an vielen Gebäuden der halleschen Innenstadt bereits weiße Fahnen als Zeichen der Kapitulation hängen, gibt es auf das Ultimatum der Amerikaner noch keine offizielle Reaktion. Nun fallen Glocken des Roten Turmes krachend zu Boden. Aufgeschreckte Frauen laufen herbei und werden Zeuge, wie Graf Luckner auf dem Markt an einem Fahrzeug steht und mit einem Offizier streitet, den er schließlich in den Wagen zerrt.

Erst 36 Stunden nach Beginn des Ultimatums bekommen die Amis eine deutsche Abordnung zu Gesicht: Felix Graf von Luckner und Major a.D. Karl Huhold. Doch die geforderte totale Kapitulation ist mit Rathke nach wie vor nicht zu machen. Er ist lediglich zur Aufgabe der nördlichen Stadt ab 17. April zu bewegen. Der Süden soll weiter in deutscher Hand bleiben. Auf amerikanischer Seite steht inzwischen fest, dass die Bomber in drei Wellen fliegen und ein zweites Dresden anrichten werden. Luckner gelingt es, den Termin für den geplanten Fliegerangriff um weitere zwölf Stunden zu verschieben. Die Amerikaner verzichten auf den Fliegerangriff und verlieren weitere Leute, als sie südlich der Franckeschen Stiftungen immer wieder vor allem durch junge fanatische Deutsche beschossen werden. Am 18. April gelingt es 400 deutschen Soldaten durch das bereits von den Amis besetzte Ammendorf auszubrechen.

Die Übergabe und Besetzung Halles zieht sich noch bis zum 19. April hin, als 10.55 Uhr endlich die Waffen schweigen. Die Amerikaner verbieten fortan jegliche politische Arbeit und internieren Nazigrößen. Uhren, Radios und Kameras nehmen sie gerne an sich.

Timberwölfe beschreiben ihren Kampf um Halle. (englisch)
letzte Tage des Zweiten Weltkrieges in Halle (deutsch)

Dass die Sowjetunion des Josef Stalin schon bald Halle Saale übernehmen würde, war schon vor Kriegsende zwischen den Alliierten ausgehandelt worden. Dass und wann die "Russen" kommen unterlag jedoch der Geheimhaltung. Trotzdem kursierten schon im Juni die ersten Gerüchte. Auch bei Halles Stadtverwaltung gab es darüber im Vorfeld keine Informationen. Im Juli 1945 war es dann soweit. Die 8. Gardearmee der Roten Armee, die als 62. Armee Stalingrad erfolgreich verteidigt hatte, rückte in der Stadt ein. Zeitzeugen erinnern sich an Soldaten auf Panjewagen und Pferden. In die Kaserne an der Heide zog die 27. Garde-Mot. Schützendivision. Dazu gehörten das 68. und das 243. Garde-Mot.-Schützenregiment sowie das 28. Panzerregiment. Die Russen waren schwer beeindruckt vom Luxus der deutschen Kaserne. Willkommen war den neuen Herren auch der reiche Bestand an Wildtieren, der sich aufgrund der langen Schonung, erst wegen der Jagd als Privileg, dann wegen der Beschlagnahme aller Waffen für den Krieg, entwickelt hatte. Vor allem Hasen gab es reichlich. In zahlreichen ausgesuchten Gebäuden bezogen Russen Quartier, darunter im Solbad Wittekind und im Gasthof "Zum Mohr". Das Gefägnis "Roter Ochse" wurde zur Wirkungsstätte sowjetischer Sicherheitsorgane. Nazis und Gegner des neuen Regimes wurden dort bearbeitet. Die Kommandantur zog in das Logenhaus auf dem Jägerberg (gegenüber der Moritzburg), wo zuvor Halles Gauleitung gesessen hatte.

35.000 Flüchtlinge lebten 1945 in Halle, in 20 Auffanglagern und diversen Privathaushalten. Es herrschte Hunger und Mangel. Die Russen begannen schon bald mit der Demontage von Industrieanlagen, Gleisen und Oberleitungen, sorgten aber auch dafür, dass Kulturhäuser wie das zerstörte Opernhaus und Kinos bald wieder öffneten. Chef der sowjetischen Militäradministration (SMA) der Provinz Sachsen und damit auch zuständig für Zivil- und Wirtschaftsangelegenheiten wie der Demontage als Reparationsleistung war General Alexander Georgijewitsch Kotikow.

Die Russen - von den einen als Befreier, von den meisten aber als Besatzer verstanden - bezogen neben der Kaserne am Heide-Rand auch eine Kaserne in Wörmlitz. Die Kommandantur und das Krankenhaus suchten sich Orte in Halles Innenstadt. 1971 bekamen Offiziersfamilien Neubauwohnungen in Halle-Neustadt (heute: Lise-Meitner-Straße) direkt gegenüber der Garnison und unweit eines kleinen Geschäfts - von den Hallensern nur Magazin genannt -, das allen offen stand. Der Neubaublock unterschied sich von anderen deutlich. In den Fenstern hingen keine Gardinen, eher schon alte Zeitungen (Prawda). An den Decken hingen Glühbirnen ohne Lampenschirm. Auf dem Bett vor dem Haus wuchs nichts. Die Kontakte zur Bevökerung waren spärlich. Regelmäßig rollten die Kettenpanzer durch Neustadts Straßen. Hin und wieder kletterten Soldaten über die aus Betonfertigteilen aufgestapelte Kasernenmauer und boten Kinder Kaugummi, Abzeichen und Zigaretten an. Auf den Straßen blieben immer wieder Fahrzeuge liegen und mussten repariert werden. In der offiziellen Politik der DDR wurde die deutsch-sowjetische Freundschaft groß geschrieben.

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Bilder aus den Zeiten der sowjetischen Garnision an der Heide in Halle Saale | Fotos: Martin Schramme