DDR-Kunst- und Antiquitätenhandel in Halle und Saal(e)kreis

von Martin Schramme, Erstfassung 2009
letzte Aktualisierung: 18.04.2022

Still ruht der See in einer ehemaligen Nobelherberge in Osünde (Saalekreis). Dass hier ein spannendes Kapitel deutsch-deutsche Geschichte geschrieben wurde, ahnen hier viele im Ort. Jetzt steht fest: In Osmünde befand sich eines von rund 100 Lagern für die dubiosen Kunst- und Antiquitäten-Geschäfte des Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski mit dem "Klassenfeind" westlicher Länder.

Unbeachtet verrottet der Klinkerbau, der einst mit Gaststätte, Saal und Kegelbahn gehobenes Publikum und Geschäftsleute anzog. Wo die Kunst und Antiquitäten GmbH in den letzten Jahren der DDR Möbel, Porzellan und Silber lagerte, sorgen heute nur noch ein Briefkasten und die Haltestelle "Osmünde, Kirche" für etwas Leben. Über das Dach des Hauses ist ein Netz gespannt, die Fenster sind zugemauert, die Türen verrammelt. "Linden-Hof Inhaber Bernhard Goltzsch" ist in alter Schrift zu lesen. Von den Wettern fast ausgemerzt ist auf dem Holz über dem Haupteingang der Schriftzug "VE Dienstleistungsbetrieb" gerade noch so zu erkennen.

Was es mit den Aufschriften auf sich hat, weiß Nachbarin Wera Braun. Die 81-Jährige hat hautnah erlebt, was sich vor und nach der Wende hier zutrug. Die Gaststätte, sagt sie, wurde nach der Enteignung erst als Schule genutzt: "In der Gaststätte waren zwei Klassen, der Saal war Turnhalle." Ein Jahr stand das Haus dann leer. Schließlich zog ein Reinigungsbetrieb ein. Ingolf Brömme, Vorsitzender des Heimatvereins Osmünder Spritze, erinnert sich an eine Wäscheannahmestelle. Vor dem Antiquitätenlager, das sich im Saal des ehemaligen Gasthauses befand, sollen Anfang der 80er Jahre öfter Lkw mit West-Kennzeichen und dem markanten Werbesolgan "Klaviere machen Freude und bringen Freunde ins Haus" gehalten haben. Das Transportunternehmen gab es 2009 noch, nur der Slogan ist Geschichte.

An Kennzeichen aus Westdeutschland und Holland erinnert sich Wera Braun. Auch Privatfahrzeuge sollen gehalten haben. Die Waren - Möbel, Porzellan und Silber - wurden im Saal eingeschlossen. Zöllner kümmerten sich darum, waren aber überhaupt nicht ansprechbar. "In den ersten Jahren kam exquisite Ware, später sah sie nicht mehr so exquisit aus." Verdrecktes Mobiliar mit Spinnweben sei zuletzt gekommen. In Karl-Marx-Stadt, so hieß es, seien die Möbel aufpoliert worden. Bei Händlern, Kaufhäusern und in Privathaushalten im kapitalistischen Deutschland tauchten die Stücke wieder auf. Auch bei der eigenen West-Verwandtschaft hat Wera Braun solche Möbel gesehen. "So schick, die waren gar nicht wiederzuerkennen." Die Beobachtungen decken sich mit anderen Zeitungsberichten. So schrieb das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", dass schäbige alte Küchenschränke, die in der DDR bei einer Haushaltsauflösung für 30 Ost-Mark erworben wurden, im Westen an die 300 D-Mark brachten.

Die Spur des Antiquitätenlagers von Osmünde führt zum DDR-Devisen-Beschaffer und Chef der Kommerziellen Koordinierung (KoKo) Alexander Schalck-Golodkowski. Mit dem Ziel "maximale Erwirtschaftung kapitalistischer Valuten außerhalb des Staatsplanes" war die KoKo im April 1966 rechtlich begründet und im Dezember des gleichen Jahres offiziell inoffiziell in Aktion getreten. Neben Waffengeschäften erwirtschaftete das Netzwerk diverser Außenhandelsunternehmungen mit dem Handel von Kunst und Antiquitäten stattliche Summen. Für letzteres wurde 1973 die Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA) gegründet. Im Berliner Branchen-Fernsprechbuch der DDR ist ein Eintrag für die Französische Straße 15 zu finden. Charakterisiert wird die GmbH als Internationale Gesellschaft für den Export und Import von Kunstgegenständen und Antiquitäten. Zudem ist der wichtigste Umschlagplatz der Kunstgüter, die Außenstelle Mühlenbeck in der Kastanienallee 18/19 verzeichnet. Wie ein Kenner der KoKo, der Berliner Anwalt Ulf Bischof der Zeitung "Die Welt" sagte, hat es neben dem Hauptaufbewahrungslager in Mühlenbeck am Nordrand von Berlin noch 100 weitere Außenlager gegeben. Bischof ist Verfasser des über 500 Seiten starken Buches "Die Kunst und Antiquitäten GmbH im Bereich Kommerzielle Koordinierung" (Verlag Walter De Gruyter, 2003). Allein in Halle gab es mindestens zwei weitere Ankaufstellen: am Hansering und in der Jenaer Straße/Ecke Wilhelmstraße.

Nachtrag: Das Ehepaar Golodkowski lebte seit Januar 1990 in Rottach-Egern am Tegernsee, der Sohn in Berlin. Der Meister selbst hatte 1996 das Unternehmen "Dr. Schalck & Co." in Miesbach gegründet und handelte mit Waren aller Art. Er konnte es eben nicht lassen. Am 21. Juni 2015 verstarb er in Rottach-Egern, Deutschlands reichstem Winkel. Zur KoKo gehörten rund 150 Firmen, viele davon im nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW).

Ein Link zu Akten der Kunst und Antiquitäten GmbH beim Bundesarchiv ist hier zu finden.