Wurzeln von Ulrike Meinhof reichen bis nach Halle
Ein Beitrag von Martin Schramme
letzte Aktualisierung: 1.7.2020

Hinweis: Urheberschaft: Jede Form der Weiterverbreitung bedarf der Zustimmung des Verfassers.

Die familiären Wurzeln von Ulrike Meinhof, erst angesehene Journalistin, dann führendes Mitglied der Rote-Armee-Fraktion (RAF), die nach etlichen Anschlägen als linke Terrorgruppierung eingestuft wurde, führen bis nach Halle an der Saale. Unter anderem Ulrike Meinhofs Vater Werner und ihr Großvater Johannes waren Hallenser. Ihre Gräber und die Gräber einiger weiterer Familienmitglieder waren auch im Jahr 2016 auf dem Laurentius-Friedhof in der Händelstadt zu finden.

Das für Halle zweifellos namhafteste Mitglied ist Johannes Meinhof, der bei St. Laurentius mit einem "Ehrengrab" bedacht ist, wie etwa auch der Theologieprofessor August Hermann Franke, der Bildhauer Gustav Weidanz oder der Botaniker Kurt Sprengel. Vor 150 Jahren wurde der spätere Superintendent von Halle in Barzwitz bei Rügenwalde in Pommern (heute Polen) geboren. Nach seiner Ordination in Breslau 1884 kam er nach Halle, wo er ein Jahr später Mathilde Köstlin, Tochter des Kirchenhistorikers und Mitbegründers des "Vereins für Reformationsgeschichte" Julius Köstlin, ehelichte. Von 1896 bis 1930 war er Pfarrer von St. Laurentius (seine Dienstwohnung war die Breite Straße 29) und seit 1918/19 zudem Chef der evangelischen Kirchen der Stadt (Superintendent). Wohnhaft in der Feuerbachstraße 8 verstarb er im November 1947 in Halle an Altersschwäche. Am frühen Nachmittag des 14. Novembers wurde er beerdigt. Mit seiner 1908 verstorbenen ersten Frau teilt er seine letzte Ruhestätte.

Johannes Meinhof hatte zwölf Kinder. Eines davon war Werner Meinhof, der spätere Vater von Ulrike Meinhof. 1901 geboren wuchs er in Halle auf und heiratete im Dezember 1928 Ingeborg Guthardt, die 1949 an Krebs starb. Werner Meinhof, der später aus beruflichen Gründen erst nach Oldenburg und dann Jena ging, studierte in Halle bei Kunsthistoriker Paul Frankl. Von Meinhof erschien in Halle die kulturhistorische Schrift "Der Rote Turm 6 - Adolf Senff. Ein Maler der Biedermeierzeit" beim Traditionsverlag Gebauer-Schwetschke. Meinhof soll nach Hitlers Machtantritt 1933 einer Widerstandgruppe (Frankl-Kreis) angehört haben, welche die Propaganda von Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, publizistisch als "Werk des Teufels" offen angriff. Es wird aber auch berichtet, dass er bereits im Mai 1933 der NSDAP beitrat. Ferner soll Werner Meinhof mit der Religionsgemeinschaft "Gottesbund Tanatra", die unter anderem für die Freiheit der Sexualität eintrat, sympathisiert haben. Ein Krebsleiden an der Bauchspeicheldrüse endete für Werner Meinhof am Vormittag des 10. Februar 1940 mit dem Tod. In der Zeitung "Hallische Nachrichten" erschien am 13. Februar 1940 ein kurzer Nachruf, in dem er als verdienstvoller Direktor des Stadtmuseums Jena, an das man ihn 1936 berufen hatte, gewürdigt wurde. Dass Werner Meinhof in Halle begraben ist, war Wunsch seines Vaters.

Seine Witwe, Ingeborg Meinhof musste schließlich im Zweiten Weltkrieg zwei Kinder, Wienke und Ulrike, alleine durchzubringen. Die Kinder waren in der Zeit oft bei Verwandten in Halle. Neben den Gräbern von Johannes und Werner Meinhof sind auf einem weiteren Grabstein die Namen von Käte, Dorothea, Friedrich und Christfried Meinhof zu lesen. Käte arbeitete für die Berliner Mission unter anderem in China, wo es um die Evangeliumsverkündung und schließlich um die Selbstständigkeit christlicher Gemeinschaften ging. An Friedrich und Christfried wird nur erinnert. Erst 22-jährig ist Hans-Christfried Meinhof als Unteroffizier 1940 in Frankreich gefallen. Friedrich starb als Oberleutnant der Luftwaffe 1941 bei Lakselv im Norden Norwegens. Beide sind in den Ländern begraben, in denen sie starben. Dorothea Meinhof (geborene Schmitz) war die zweite Frau von Johannes Meinhof.

Die genannten Verstorbenen sind im Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen erfasst. Ein Exemplar ist im Besitz der Marienbibliothek in Halle. Die Meinhof-Gräber in Halle, darunter auch das von Dorothee Stammler (geborene Meinhof), Frau des Rechtsphilosophen Gerhard Stammler (1898-1977), bleiben so lange auf St. Laurentius erhalten, weil sich Eberhard Meinhof, der Sohn von Friedrich Meinhof und jüngster Enkel von Johannes Meinhof, darum kümmerte. 2010 lebte er im Rheinland, wo ihn der Autor dieses Beitrags kontaktierte. Von 1942 bis 1960 hat Eberhard Meinhof in Halle gelebt, dann siedelte er in die Bundesrepublik über. Er besuchte die Wittekind-Schule. Von 34 Kindern hatte dort nur noch eins einen Vater, berichtete er von den traurigen Folgen des Zweiten Weltkrieges. Weil er die Junge Gemeinde, eine kirchliche Einrichtung, besuchte, habe er in der Schule Nachteile gehabt. Als man während seiner Lehrzeit bei der Energieversorgung Halle beschloss, dass sich zum 7. Oktober 1960 (Gründungsjubiläum der DDR) alle freiwillig zur Nationalen Volksarmee melden (damals war der Dienst bei der NVA noch keine Pflicht), war für Eberhard Meinhof das Maß überschritten. Als Kind eines im Krieg gefallenen Vaters lehnte er den Dienst an der Waffe ab, was auf wenig Verständnis stieß. Meinhof verließ die DDR kurz vor dem Mauerbau über Westberlin. Sein Bruder, ein Theologe, und seine Mutter, blieben in Halle an der Saale. Erst 1983 konnte Meinhof seine Mutter in den Westen nachholen.

Nach der Amnestie für die DDR-Flüchtlinge kam Eberhard Meinhof seit 1965 regelmäßig in seine Heimatstadt. Bis zuletzt war das so. Zwei bis drei Mal pro Jahr war er in Halle. "Ich bin begeisterter Hallenser", sagte er 2010. Wie er über die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten schwärmte, war der beste Beweis dafür. Auch dass er die Händelfestspiele besuchte. Heute ist in Halles Telefonbuch kein Eintrag "Meinhof" zu finden. Das war früher anders. Die Familie war groß. So war ein gewisser Dr. Heinrich Meinhof 40 Jahre Arzt in Halle. Doch auch er verließ 1960 die DDR in Richtung Westen.

Und Ulrike Meinhof (1934-1976)? Der linksgerichteten Zeitschrift "konkret", für die sie einige Jahre arbeitete, werden DDR-Kontakte nachgesagt. Sogar finanzielle Unterstützung soll es gegeben haben. Eberhard Meinhof hat seine überaus kluge und sozial denkende Cousine, die später in das Terrornetzwerk der RAF abglitt, 1965 zuletzt gesehen. Auf dem Kirchentag in Köln sei man sich begegnet, wo sie mit dem Physiker und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker auftrat. Zu der Zeit lebte sie noch mit Konkret-Herausgeber Klaus Rainer Röhl zusammen und zog ihre Zwillinge auf.

Nach ihrem Tod wurde Ulrike Meinhof in Berlin beigesetzt. Nicht vollständig, wie im Herbst 2002 aufgrund von Nachforschungen der Meinhof-Tochter Bettina Rouml;hl herauskam. Das Gehirn war entnommen und zu wissenschaftlichen Untersuchungen jahrzehntelang in Formalin aufbewahrt worden. Grund für das Interesse war die Annahme, dass mit der Tumor-OP Meinhofs eine Wesensveränderung einhergegangen sein könnte, die schließlich zur Radikalisierung und zur RAF führte. Zuletzt lagerte des Gehirn in einer Klinik in Magdeburg. Als der Fall bekannt wurde, untersagte eine Ethik-Kommission, das Gehirn weiter zu untersuchen und Forschungsergebnisse zu publizieren. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart forderte das Gehirn zurück, veranlasste die Einäscherung und die Überführung der Asche an die Angehörigen. Am 22. Dezember 2002 wurde die Asche ebenfalls auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof in Berlin beigesetzt.

Doch damit war das Thema Ulrike Meinhof und Halle Saale offenbar noch nicht abgeschlossen, denn während ihrer sechsjährigen Recherche zum Leben der prominenten Rebellin lenkte die linksaktivistische Publizistin Jutta Ditfurth ihre Schritte auch ins Stadtarchiv nach Halle, wie Stadtarchivar Ralf Jakob berichtet. 2007 erschien ihr Elaborat unter dem Titel "Ulrike Meinhof - die Biographie".

Bericht des Spiegel über Ulrike Meinhof.